Wenn Realität und Virtualität verschmelzen

… und was dies für das Marketing der Zukunft bedeutet

Immersion beschreibt den Eindruck, dass sich die Wahrnehmung der eigenen Person in der realen Welt vermindert und die Identifikation mit einer Person in der virtuellen Welt vergrößert. Hierbei kann beispielsweise die Art der Gestaltung der virtuellen Welt Einfluss auf die Ausprägung des Immersionseffektes nehmen. Dieser wird im Regelfall durch eine fesselnde und anspruchsvoll gestaltete virtuelle Welt stärker ausfallen. Quelle: Wikipedia

Immersion klingt ganz schön „abgespaced“ – ein bisschen wie aus einem Science-Fiction-Film, in dem Technologien, die wir in unserer realen Welt noch nicht für möglich halten, visualisiert werden.

Tatsache ist aber, dass es sich bei „Immersion“ um ein aktuelles Buzzword handelt, das gar nicht so weit hergeholt ist, wie es sich anhört. In der Virtual Reality („virtuelle Realität“) und Augmented Reality („erweiterte Realität“) werden nämlich ganz andere Interaktionen des Users mit seiner Umgebung möglich: Über Text und Bild hinaus geben diese Technologien den Usern die Möglichkeit, ihr Umfeld mitzugestalten, in künstliche Welten einzutauchen und Teil des Mediums zu werden, sodass man sich tatsächlich auf ganz andere Art und Weise in der virtuellen Welt wiederfindet. Nicht umsonst wendet sich der Blick vorausschauender Marketer schon jetzt auf die kommenden Technologien – die zwar noch in ihren Kinderschuhen stecken, von ersten großen Marken jedoch bereits fürs Marketing genutzt werden.

Unter dem englischen Begriff „Ambient Interactivity“ („Umgebunginteraktivität“) werden all diese neuen Technologien wie Virtual Reality, Augmented Reality, aber auch sogenannte „Wearables“, wozu z.B. Virtual-Reality-Brillen wie die Google Glass zählen, zusammengefasst. Denn genau das ist der springende Punkt:

Allesamt basieren sie darauf, den Nutzer interaktiv in seine (virtuelle) Umgebung einzubinden und den Immersionseffekt zu maximieren. Gewissermaßen kennt jeder diesen Effekt aus dem Kino – schließlich taucht man auch hier in fremde Welten ein und wird von der Leinwand gefesselt. Der Unterschied liegt dabei jedoch in der Passivität. Im Kino kann der Zuschauer den Film nicht beeinflussen.

In der virtuellen Welt entscheidet nicht der Drehbuchautor allein über den Fortgang der Geschichte, sondern der Rezipient.

Wäre ja ganz schön verrückt, wenn das ginge, oder?

Intuitiv würden wir mit „ja“ antworten. Dabei ist dies im übertragenen Sinne längst möglich: Denn in der virtuellen Welt entscheidet nicht der Drehbuchautor allein über den Fortgang der Geschichte, sondern der Rezipient bestimmt durch seinen Blickwinkel, durch Bewegungen und andere Interaktionen, was als nächstes passiert bzw. was er als nächstes wahrnimmt. Vielleicht haben Sie dies ja sogar schon in abgespeckter Form auf Facebook oder YouTube gesehen.

Unternehmen und Marken wie Lufthansa, Red Bull, Budweiser oder das Tomorrowland-Festival werben neuerdings mit 360°-Videos, in denen der Rezipient seinen Blick in alle Himmelsrichtungen schweifen lassen kann. Durch Bewegen der Maus ist es z.B. möglich, sich aus einem Rennwagen-Cockpit heraus umzuschauen. So sieht man nicht nur, was vor einem passiert, sondern auch, was sich hinter einem, über einem und neben einem auf der Rennstrecke abspielt. Mehr als in einem normalen Werbevideo hat man das Gefühl, tatsächlich in einem Rennwagen zu sitzen und die Strecke unsicher zu machen.

Am stärksten kommt dieser Effekt jedoch auf mobilen Endgeräten zum Vorschein. Schwenkt man das Smartphone oder Tablet in verschiedene Richtungen, so ändert sich auch die Perspektive im Video. Etwa so, als stünde man nicht mehr in seiner heimischen Küche, sondern bewege sich gerade durch die Innenstadt von Hamburg. Falls Sie noch keines solcher 360°-Videos gesehen haben sollten, lohnt sich das Googlen definitiv. Denn obwohl die Potentiale der virtuellen Realität hier noch längst nicht ausgeschöpft wurden, sind diese Videos, die mit äußerst teuren 3D-Kameras aufgenommen wurden, ein guter Versuch, die Werbung mit neuen Ideen zu bereichern.

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Selbstverständlich ist es gerade in der Anfangsphase einer neuen Technologie nicht einfach, sie mit all ihren Möglichkeiten in den Alltag zu integrieren. Besonders, wenn sie sich so stark von allem bisher Dagewesenen abhebt. Wie erschafft man Erlebnisse, die speziell auf Virtual Reality abgestimmt sind? Welche Erlebnisse können nur durch diese Technologie ihre ganze Wirkung entfalten? Und wie gestaltet man die Interaktion, die das Erlebnis real erscheinen lässt?

Blick zu den Big Playern

Um eine Antwort auf diese Fragen zu finden, lohnt sich wie in vielen Fällen der Blick zu den Big Playern – beispielsweise zu Coca Cola. Schon zu Zeiten der WM 2014 haben die Hersteller der braunen Brause einen Fuß auf das Gebiet der Virtual Reality gesetzt und gezeigt, wie die neuen Technologien für ausgefallenes, zukunftsorientiertes Marketing genutzt werden können. Sie luden dazu Kinder, denen es nicht möglich war, live bei den Fußballspielen in Brasilien dabei zu sein, zu einem außergewöhnlichen VR-Event ein. Dort wurden den gespannten Teilnehmern Wearables, also VR-Brillen, aufgesetzt, mithilfe derer sie in eine virtuelle Spielsituation eintauchen konnten. So, als seien sie live im Stadion dabei. Und nicht nur das: Sie versetzten die Kinder in die Lage eines Spielers, der sich frei durch das virtuelle Stadion bewegen konnte und schenkten ihnen damit ein einmaliges Fußball-Erlebnis. Dadurch, dass sie die Brillen trugen, sahen die Kinder nichts mehr von der realen Welt und konnten sich ganz auf das virtuelle Ereignis einlassen. Was hier ganz klar im Vordergrund stand, war definitiv nicht die Werbebotschaft, sondern das real anmutende Erlebnis.

Was hier ganz klar im Vordergrund stand, war definitiv nicht die Werbebotschaft, sondern das real anmutende Erlebnis.

Doch auch weitere Einsatzgebiete sind denkbar. So könnte man Fans, die keine Konzertkarten erwerben konnten, über die VR-Technologie Backstage-Einblicke in eine Konzertsituation gewähren, die sich echter anfühlen als simple Videos. Der Whisky-Hersteller Jim Beam hingegen präsentierte seinen Besuchern auf einer Marketing Tour den Herstellungsprozess des Whiskys aus Sicht des Produkts.

Und Toyota und Chrysler setzten auf der New York Auto Show einen interaktiven Fahrsimulator ein, in dem die „Fahrer“ die Rolle eines Stuntmans einnahmen. Allerdings sind auch hier noch nicht die Grenzen der Verschmelzung von Realität und Virtualität erreicht.

Richtig interessant wird es, wenn „Ambient Interactivity“ auch an ganz gewöhnlichen Orten zum Einsatz kommt – so z. B. in Form von interaktiven Schaufenstern, Tafeln oder Platten. Auf allen denkbaren Arten von Oberflächen wäre es möglich, unterschiedliche Funktionen anzubieten. Ganz egal, ob als Informations-, Marketing- oder Entertainmentplattform. Erste Beispiele sind auch hierfür schon vorhanden: Im Internet kursiert nämlich ein Demo-Video der Restaurantkette Pizza Hut, in dem ein interaktiver Tisch mit Touch-Funktion zu sehen ist. Die Gäste sehen auf der Touch-Oberfläche eine virtuelle Pizza und wählen über Fingerbewegungen ganz einfach die Größe, die Art und den Belag der Pizza aus. Der Bezahlvorgang kann per Paypal oder Kreditkarte auch ganz einfach mithilfe des Tisches erfolgen und die Wartezeit mit witzigen Mini-Games überbrückt werden. Alles passiert virtuell. Eine Bedienung? Wäre in diesem Fall gar nicht mehr nötig. Bis diese Tische in den Restaurants dieser Welt tatsächlich Einzug halten werden, dauert es wahrscheinlich noch etwas. Pizza Hut befindet sich derzeit noch in der Testphase.

Doch Fakt ist: Die Technologie existiert bereits und könnte theoretisch schon heute zum Einsatz kommen. Ob man ein Fan davon ist, nicht mehr von einer realen Person nach seinen Wünschen gefragt zu werden, muss jeder für sich selbst entscheiden.

Eine weitere Form von Umgebungsinteraktivität zeigt sich in anderen Projekten, an denen momentan gearbeitet wird. Es handelt sich dabei um Events, bei denen es Besuchern möglich sein soll, Umgebungseindrücke wie Licht und Sound zu verändern und Special Effects wie Laserstrahlen, Säulen, Stäbe etc. zu beeinflussen. Es spielen also erneut Bewegungssensoren, die die Interaktion der User einfangen, eine Rolle. Vielleicht werden derartige Umsetzungen sogar schon bald an öffentlichen Orten zum Einsatz kommen. Denn wie allmählich deutlich wird, kann die „Ambient Interactivity“ in verschiedenen physikalischen Formen aufgegriffen werden: Von Möbeln und kleineren Objekten bis hin zu Böden, Tafeln und ganzen architektonischen Elementen wie Gebäudefassaden.

Mal ganz davon abgesehen hat die Umgebungsinter-
aktivität auf unseren Smartphones in Form von Augmented Reality Apps schon längst Einzug gehalten. Diese Apps ergänzen die Realität durch computererzeugte Zusatzinfos, die meist standortgebunden sind. Besonders gut ist diese Technologie geeignet, um Touristen an bestimmten Orten Informationen, Grafiken, Animationen oder Videos einzublenden, indem sie einfach die Kamera auf eine Straße, ein Gebäude oder einen Gegenstand halten.

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Auch die Google-Brille basiert zu einem großen Teil auf dieser Idee – nur, dass die Einblendungen nicht auf dem Smartphone-Display, sondern direkt vor den Augen erscheinen.

Insgesamt zeigt sich, dass wir in Sachen Verschmelzung von Realität und Virtualität noch Einiges erwarten können. Klar ist, dass die Technologien noch nicht in solchem Maße fortgeschritten bzw. bezahlbar sind, dass sie jeder für seine Kommunikation einsetzen könnte. Doch es zeichnet sich eine deutliche Bewegung in diese Richtung ab.

Denn aus unserer Erfahrung mit Social Media und Smartphones wissen wir, dass Neues nicht mehr lange neu ist und schneller Teil unseres Alltags wird als wir es für möglich gehalten hätten.

Momentan arbeiten vor allem die Erfinder, also Hardware- und Software-Spezialisten, Ingenieure, Informatiker und Designer, an VR-Umsetzungen und Formen von „Ambient Interactivity“, doch auch Kommunikationsfachleute müssen darauf gefasst sein, sich bald mit diesen Entwicklungen auseinander zu setzen. Schon in wenigen Jahren, wenn die Technik etwas ausgereifter sein wird und die Akzeptanz in der Gesellschaft wächst, wird unser Alltag noch mehr von virtuellen Ergänzungen geprägt sein und dies für Unternehmen ganz neue Interaktionen mit ihren Kunden ermöglichen. Eines Tages ist der Immersionseffekt also „perfekt“.